Lübeck - Reptilien haben sich aufgemacht, Hund und Katze als beliebten Haustieren den Rang abzulaufen. Immer mehr Familien im Norden halten sich bereits Exoten.

"Ungeheuer" erobern norddeutsche Haushalte. Zumindest werden die Reptilien oft für Ungeheuer gehalten. Dabei sind sie ganz anders als ihr Ruf: Sie haaren nicht, machen keinen Lärm, beanspruchen nur wenig Platz und brauchen nicht an die frische Luft. Am liebsten lassen sie sich einfach dabei bestaunen, wie sie faul in der Sonne liegen und ab und an ihrem Futter nachjagen. Viele Menschen sind fasziniert von ihrem urtümlichen Aussehen - so mancher verspürt bei ihrem Anblick aber auch eher Unbehagen.

Reptilien als Haustiere sind ein seit Jahren kontinuierlich wachsender Trend auch im Norden. Besonders junge Menschen und Familien entscheiden sich immer häufiger für die Haltung der exotischen Tiere in dekorativen Terrarien. Die Zoofachgeschäfte reagieren auf die Nachfrage und führen mittlerweile ein großes Sortiment an Terraristik-Bedarf: "Bei uns ist das schon seit langem keine Nischen-Abteilung mehr. Wir haben eine breite Kundschaft, die sich zahlenmäßig mit der Aquaristik messen lässt", betont die gelernte Zoofachverkäuferin Claudia Wesslowski, die seit 1990 die Terraristikabteilung im Zoogeschäft Görtz in Lübeck betreut.

An der Spitze der Lieblingsreptilien steht in jüngster Zeit die australische Bartagame: "Dieses Tier ist ungiftig und zahm, zudem lässt es sich kostengünstig halten. Das ideale Anfängertier", so Claudia Wesslowski. Auch die Kornnatter, der Leopardgecko und sogar die Vogelspinne stehen auf der Beliebtheitsskala ganz weit oben. Die Anschaffungskosten liegen bei diesen Tieren zwischen ein- und fünfhundert Euro.

"Die Haltungsbedingungen für Reptilien sind in den letzten 20 Jahren wesentlich einfacher und günstiger geworden", stellt Thomas Marxen vom Tropenhaus in Hamburg fest. Die meisten Arten werden in Deutschland nachgezüchtet und zu erschwinglichen Preisen angeboten, zudem deckt die Produktion von speziellen UV-Licht-Strahlern und Nahrungsergänzungs-Präparaten problemlos die Bedürfnisse der Tiere ab. Als größter norddeutscher Einzel- und Großhändler in diesem Bereich erweitert das Tropenhaus ständig sein Angebot. Silvia Macha, Leiterin der DGHT-Stadtgruppe Hamburg (Deutsche Gesellschaft für Herpetologie und Terrarienkunde), erkennt die wachsende Beliebtheit an vielen Faktoren: "Tatsache ist, dass auch in diesem Jahr die Zahl der Fachmärkte, Veranstaltungen, Veröffentlichungen und Vereine wieder gestiegen ist."

Das in Lübeck-Kücknitz lebende Ehepaar Jens-Uwe und Kerstin Schulz ist Mitglied in einem solchen Verein, dem der "Terrarien-Freunde-Hamburg", der Ende 2005 gegründet worden ist: "Angefangen haben wir mit zehn Mitgliedern, mittlerweile sind wir über 100 Aktive", erzählt Jens-Uwe Schulz stolz. Vor anderthalb Jahren hat er seinen Beruf als Schlosser aufgegeben und sein Hobby zum Beruf gemacht, seither betreibt er über das Internet einen Shop für Terraristik-Zubehör.

Der Lübecker Kleintierarzt Dr. Michael Heinrich ist ebenfalls ein Reptilien-Fan - in seinem Wartezimmer beheimatet er Wasseragamen und Halsbandleguane. Auch in seiner Praxis behandelt er zunehmend Tiere dieser Spezies: "Bisher liegt der Patientenanteil bei zehn Prozent, die Tendenz ist klar steigend." Die Liebe zum Reptil entwickelt sich bei vielen bereits im Kindesalter: "Kinder sammeln in der Natur Käfer und Heuschrecken, sie ekeln sich nicht vor Kriechtieren", sagt Claudia Wesslowski. Auch im Heimtiergeschäft Zoo-Schnack in Lübeck beobachtet die Verkäuferin Jennifer Vagt besonders viele Jugendliche, die sich begeistert der Terraristik zu- und von kuscheligen Nagetieren abwenden: "Die meisten jungen Leute sind von Größe und Farbe der Tiere beeindruckt. Leben in der Familie Tierhaar-Allergiker, dann lassen sich die Eltern meistens sehr schnell zu einem Reptilienkauf überreden", so Vagt.

Häufig treffen zukünftige Besitzer das erste Mal im Urlaub mit den ungewöhnlichen Tieren zusammen. Wieder Zuhause, möchten sie die exotischen Fremdlinge auch in ihren vier Wänden erleben. Die steigenden Marktzahlen führt Thomas Marxen aber vor allem auf die Präsenz der Tiere in den Medien zurück: "Derzeit laufen im Fernsehen fast rund um die Uhr Tiersendungen, darunter viele Formate wie ,Mein wildes Wohnzimmer'."

Das Ehepaar Schulz hat bereits vor sieben Jahren seine Leidenschaft für Schlangen und Tropenbewohner entdeckt. Derzeit stehen in ihrem Wohnzimmer sieben selbstgebaute Terrarien, in denen sie unter anderem mehrere Königspythons und ein Chamäleon halten: "Für uns gehören die Glasterrarien mit ihren bunten Bewohnern zu einer schmuckvollen Wohnlandschaft dazu. Viele unserer Bekannten sind begeistert und haben sich diese Idee bereits abgeguckt." Die Tiere der Schulzes sind zutraulich und kommen zur Fütterung sogar an die Terrarientür, um direkten Kontakt aufzunehmen.

Reptilien bevölkern die Erde seit Jahrmillionen. Ein Grund hierfür liegt in der robusten Beschaffenheit dieser Geschöpfe: die Lebenserwartung der meisten Gattungsvertreter fängt bei zehn Jahren an.

Ein komfortables Dasein im Terrarium begünstigt das Erreichen eines hohen Alters - ist das Kind aus dem Haus, steht das Haustier noch in der Blüte seines Lebens. Darüber hinaus wachsen die Tiere ein Leben lang, viele erreichen eine stattliche Größe von über einem Meter Körperlänge und brauchen plötzlich wesentlich mehr Platz, als der Halter eingeplant hat.

Zudem sorgt das Futter dieser Tiere häufig für mehr Aufregung als ihre Verzehrer, denn auf dem Speiseplan stehen Lebendtiere wie Grillen und Würmer - der unaufmerksame Umgang mit den Insekte kann zur Folge haben, dass sie sich unkontrolliert in der Wohnung und auch beim Nachbarn als ungebetene Gäste ausbreiten. Dann werden Herrchen und Frauchen schnell mal selbst zu jagenden Raubtieren.

Quelle: ln-online.de