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1.250.000 Dollar für die Memoiren einer Katze
Amerika begeistert sich sehr für tierische Helden. 1,25 Millionen Dollar hat ein Verlag für die Biografie einer Katze gezahlt, die in einer Bibliothek in Iowa gelebt hat – als " the World’s Most Beloved Cat". Auch ein Labrador und Elefanten taugen für Bestseller. Eine echte Schnurre.
An einem eisig kalten Januarmorgen, als Vicki Myron wie üblich die Tür der Stadtbücherei von Spencer, Iowa, aufschloss, hörte sie ein dumpfes Miauen. Die Bibliothekarin sah in dem großen Briefkasten nach, in den Nutzer außerhalb der Öffnungszeiten ihre ausgeliehenen Bücher werfen können, und fand unter dem Haufen zurückgegebener Literatur ein winziges gelbes Katzenjunges mit struppigem Fell und erfrorenen Pfoten. Vicki Myron und ihre Kollegen wärmten das Tier auf, gaben ihm zu fressen, und als die Katze es ihnen mit einem nicht enden wollenden Schnurren dankte, war sie adoptiert.
Das war im Januar 1988. Als Dewey im vergangenen Winter 19jährig starb, war er längst eine Berühmtheit. So berühmt, dass seine Memoiren für rund 1,25 Millionen Dollar an den Verlag Grand Central verkauft worden sind.
Der Siegeszug des Literaturkaters
Herausgeber des Buches ist neben Karen Kosztolnyik von Grand Central und Deweys Adoptivmutter Vicki Myron der Publizist Bret Witter, ein ehemaligen Verleger der in den USA äußerst erfolgreichen Buchreihe „Chicken Soup for the Soul“. Die Motivationsratgeber erzählen erbauliche Geschichten von Menschen, die ihre Träume verwirklicht oder Schicksalsschläge verkraftet haben – und dem Tenor wird wohl auch „Dewey, a Small Town, a Library and the World’s Most Beloved Cat“ folgen. Erklärt sich Deweys Popularität doch nicht zuletzt mit seiner Eigenschaft als Kuscheltier einer ganzen Stadt.
Spencer gehört zu den Opfern der Landwirtschaftskrise, die in den achtziger Jahren den Mittleren Westen der USA beutelte, und es schien, als hätten seine Bewohner auf die rührende Geschichte der Rettung des kleinen Katers nur gewartet. Sie spendeten Futter, besuchten ihn regelmäßig in der Bibliothek, und auch sein Name, Dewey Readmore Books (nach dem von Bibliotheken verwendeten Dewey Dezimalklassifikationssystem) geht auf einen Wettbewerb der Bibliothek zurück: Während laut Vicki Myron sonst gerade einmal ein Dutzend Leser an derartigen Bibliotheksumfragen teilnahmen, reichten plötzlich Hunderte ihre Vorschläge ein: ein Star war geboren. Es dauerte nicht lang, bis sich die Geschichte vom Literatenkater herumsprach – nach lokalen Zeitungen und Fernsehsendern berichten die überregionalen und schließlich ausländische Medien, ein japanisches Fernsehteam eingeschlossen.
Der riesige Markt für Tierliebhaber
Dewey erhielt Fanpost aus New York, Belgien und Südafrika, die Bibliothek von Spencer verschickte Newsletter, in denen sie über Deweys Lieblingsmahlzeiten berichtete (Rühreier, Thunfischsandwiches, Cheeseburger und Knoblauchhühnchen) und verkaufte über ihre Website Postkarten, die den Kater in seinem natürlichen Umfeld, der Bibliothek, zeigen. Doch der exorbitante Vorschuss wäre ohne die Hilfe eines ungezogenen Labradors wohl trotzdem kaum zustande gekommen: Seit dem Bestseller „Marley and me“, in dem der Kolumnist John Grogan vom anstrengenden Leben mit seinem hyperaktiven Hund Marley berichtete, halten die amerikanischen Verlage Ausschau nach einem weiteren Haustier-Bestseller. Der New York Times zufolge ging „Marley“ (im Herbst auf Deutsch bei Page & Turner) gegen einen Vorschuss von rund 200.000 Dollar an den Verlag William Morrow und hat sich seit seinem Erscheinen 2005 fast zwei Millionen Mal verkauft. Kein Wunder, dass Grand Central mit seinem Angebot die vom Agenten Myrons und Witters angesetzte Auktion kurzerhand beendete. „Es dürfte da draußen gleich viele Katzenliebhaber geben“, so Karen Kosztolnyik gegenüber der Times, „den Markt für Tierliebhaber sollte man nicht unterschätzen“.
Wasser für Elefanten
„Marely & Me“ ist der Spitzenreiter einer Reihe von Erfolgstiteln, die vom Leben mit Tieren – oder von der Trauer über ein Leben ohne sie – handeln und die derzeit den Nerv der Amerikaner zu treffen scheinen. So bekam die kanadische Autorin Sara Gruen einen Fünf-Millionen-Dollar-Vorschuss für ihre nächsten zwei Bücher, nachdem „Water for Elephants“ von 2006 die Bestsellerlisten erklommen hatte, ein Liebesroman, in dem ein trauriger Zirkuselefant eine wichtige Rolle spielt. Da ihr Verlag die Summe mit der „einzigartigen Verbindung Sara Gruens zu Tieren“ begründete, erscheint es nur konsequent, dass auch die Folgetitel von Tieren handeln werden.
Der amerikanische Journalist Jon Katz, Autor von mittlerweile sechs erfolgreichen Büchern über sein Leben mit Hunden, erklärte die Haustier-Faszination mit der zunehmenden Vereinzelung: „Die Bedeutung des Fernsehens, das Verschwinden der Familie, immer mehr Scheidungen, immer mehr allein lebende Menschen, die Unsicherheit im Beruf – all das hat dazu geführt, dass der Mensch Hunde immer stärker personalisiert: Sie dienen als Menschenersatz oder werden wie echte Familienmitglieder behandelt.
Man gibt ihnen Menschennamen, lässt sie im Bett schlafen. Sie sind so eine Art Kinder mit Fell.“ Katz’ Diagnose lässt sich mühelos auf andere Haustiere übertragen. Für den frustrierten Durchschnittsamerikaner – und wohl nicht nur für den – stellt die Kreatur eine bequeme Verbindung zur Natur her, lässt sich geduldig mit Emotionen be- und überladen und dankt es mit anspruchsloser Anhänglichkeit. Oder mit einem Eine-Million-Dollar-Scheck.
Quelle: welt.de
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