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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : England und der Horror-Hai



Bushcamper
09.08.2007, 17:01
Das Unwissen bleibt unbekämpfbar...
Dass der Mensch in der heutigen Zeit mehr und mehr den Bezug zur Natur verliert, ist nichts Neues. Dass er dazu neigt, Tiere zu vermenschlichen oder zu verniedlichen, hat der ganze Trubel um Eisbär Knut nur zu gut bewiesen. Und spätestens seit Steven Spielbergs “Jaws” (“Der weisse Hai”) haben die Haie ihr Image als “allesfressende Monster” ein für allemal weg. So realitätsfern diese Hai-Hysterie auch ist, so unausrottbar scheint sie zugleich auch zu sein.

Da war vom “Horror-Hai vor England” die Rede. Klug von diesem Fisch, dass er sich das alljährliche Sommerloch ausgesucht hat, denn sonst hätte er es nicht in die Medien geschafft. Der “Horror-Hai” passt ja auch hervorragend in jenes Informationsschema, welches Boulevardpresse oder aber so mancher private Fernsehsender unter “Berichterstattung” versteht. Nett von dem Fisch, dass er unser Augenmerk endlich mal von den in Afghanistan entführten Menschen wegzieht, die tatsächlich um ihr Leben bangen.

Es ist auffällig, dass gerade jene Menschen, die am wenigsten mit Haien in Kontakt kommen, die grösste Angst vor ihnen haben. Sieh man sich hingegen die Völker im pazifischen Raum an, die tagtäglich mit dem Meer in Berührung kommen, dann gewinnt der Hai eine ganz andere Bedeutung. Er ist fester Bestandteil ihres Alltags, ihrer Mythologien und auch ihres Speiseplans. Für den Menschen des westlichen Kulturkreises ist der Hai nicht wirklich greifbar, sondern sehr fremd. Er weckt Urängste. Zwei Urängste treffen aufeinander: einmal die vor einem mächtigen Raubtier und zum anderen die vor Wasser. Der Mensch ist ein Landtier. Sicher, fast jeder fühlt sich zum Meer hingezogen, doch es bleibt ein für den Menschen feindliches Medium. In tiefem und praktisch grenzenlosem Wasser ist der Mensch ein Nichts. Wir gehen entweder ins Meer, weil wir Spass wollen oder aber weil wir es müssen, wie z.B. Küstenfischer. Rein biologisch gesehen, haben wir im Meer als Landtier nichts zu suchen. Die Natur hat im Grunde dafür gesorgt, dass wir dem Hai nicht begegnen können. Aber wir wären keine Menschen, wenn wir es nicht als Dreistheit der Natur ansehen würden, dass wir als “Krone der Schöpfung” im Urlaub auch noch einer Gefahr ausgesetzt sind …!
Bären, Raubkatzen - grosse Raubtiere, die viel eher eine Gefahr für Touristen werden können. Aber wir gestehen ihnen ihren Platz zu und bewundern ihre Schönheit. Und solange sie klein sind, sind sie ja auch so was von süss! (Es wäre interessant zu erfahren, was Knut in einem Jahr sagt, wenn dann jemand mit ihm kuscheln wollte …) - Der Hai hat dieses Glück nicht, zu ihm finden wir keinen echten Bezug. Dasselbe Schicksal teilen oft auch grosse Reptilien oder aber mysteriöse andere Tiere wie etwa Riesenkalmare. Sie alle sind uns sehr fremd.

Es ist halt schön, sich zu gruseln. Um all diese Tiere herum werden Mythen aufgebaut. Sachlichkeit und Fakten werden ignoriert, weil Fakten an sich eben doch nicht befriedigen. Wäre der Hai noch “der Hai”, wenn man in ihm einfach nur einen Raubfisch sehen würde? Differenziertes Betrachten ist gar nicht gewünscht. Fälle, in denen wilde Delphine Menschen attackiert haben, werden nicht als Wahrheit angenommen. Ein einzelner Haiangriff wird zur Schlagzeile, während zur gleichen Zeit unzählige Menschen ertrinken, weil sie einfach schlechte Schwimmer sind. Kaum jemand schert sich darum, dass täglich tausende von Haien abgeschlachtet werden, was zu einem gravierenden ökologischen Problem werden wird. Wen kümmert es, dass der berüchtigte weisse Hai auf der Liste der stark bedrohten Arten steht? Hauptsache, er reisst in TV-Dokus sein Maul auf und bleibt mir im Urlaub vom Leibe …

So gering die Wahrscheinlichkeit auch ist, einem Hai zum Opfer zu fallen, so gross ist auch die Panik davor. In einigen Mittelmeerländern gibt es nach wie vor die inoffizielle Anweisung an Krankenhäuser und Behörden, Haiangriffe in Berichten als “Badeunfälle” zu kaschieren. Und das, obwohl die Zahl der Haiattacken an den Mittelmeerküsten sich kaum in Prozenten ausdrücken lässt … Andere Länder stehen dazu, z.B. Südafrika oder Australien. Hier lässt sich im Ernstfall halt nichts mehr vertuschen. Dass Surfer sich zum potentiellen Angriffsziel für einen Hai machen, ist bekannt. Aber trotzdem ist es immer der “böse” Hai und kein Fehlverhalten des Menschen. Fern jeder Vernunft wird eine ganze Tiergruppe dämonisiert. Von den weit über 300 bekannten Haiarten werden die wenigsten gross genug, um den Menschen überhaupt als Beute ansehen zu können. Kein grosser Raubhai spezialisiert sich auf Menschen, denn sonst wäre ja kein Küstenstrich mehr sicher.
Wenn man sich das Spektrum an Haiarten ansieht, das z.B. allein vor den Balearen oder den Kanaren vorkommt, dann würde so mancher Badegast sicher erst einmal schlucken. Da sind schon einige Arten darunter, welche Menschen gefährlich geworden sind. Aber wie viele Haiattacken hat man vor Ibiza oder vor Teneriffa tatsächlich erlebt? Fakt ist, dass es zweifellos Haiarten gibt, die für den Menschen eine Gefahr darstellen können, das soll auch nicht beschönigt werden. Doch im Vergleich zu anderen Risiken entlang des Meeres rangiert der Hai unter “ferner liefen”.

Man führe sich zum Schluss einmal vor Augen, dass es gerade die wirklich kleinen Tiere sind, die dem Menschen wirklich gefährlich werden können: Zecken und diverse Insekten. Niemand weiss, wie viele Menschen jährlich an den Folgen eines Zeckenbisses sterben. Da gibt es keine vernünftige Relation mehr zu möglichen Haiattacken.
Niemand muss Haie zu seinen Lieblingen erklären. Aber jeder sollte ihnen ihren Platz zugestehen. Haie stehen am Ende der marinen Nahrungskette. In Regionen, wo sie jahrelang sinnlos getötet wurden, kippte das ökologische Gleichgewicht. Ohne Haie geht es im Meer nicht. Ohne Mensch im Meer aber würde es durchaus gehen. Vielleicht sogar besser …

Quelle: pr-online.de