Bushcamper
07.08.2006, 09:01
Widerstand – Erwin Kessler, streitbarer Tierschützer aus dem Thurgau, und sein Kampf gegen Tierfabriken
Er ist wohl der berühmteste, aber auch gefürchtetste Tierschützer der Schweiz. «Für die einen bin ich der Held, für die anderen der Psycho», sagt Erwin Kessler, der vom Bauingenieur zum radikalen Verfechter einer artgerechten Nutztierhaltung wurde.
In Tuttwil scheint die Welt noch in Ordnung. Die Äcker sind bestellt, die Wiesen gedüngt und von fern ist das Gebimmel der Kuhglocken zu hören. Nichts scheint diese Harmonie von Mensch und Natur zu stören. Wäre da nicht dieses zurückversetzte und «schwer gesicherte» Haus, dessen Bewohner wohl so mancher Bauer und Tierhalter in diesem Land am liebsten dahin schicken würde, wo der Pfeffer wächst.
«Es war nie mein Ziel, mich beliebt zu machen», sagt Erwin Kessler, Adressat dieses bösen Wunsches. Der gefürchtetste Schweizer Tierschützer empfängt den Gast in Jeans und im Karateleibchen. Den Kampfsport betreibt er wohl nicht nur zum Ausgleich: «Offen bei Tag gehe ich schon lange nicht mehr auf einen Hof. Da weiss ich nie, ob es für mich lebensgefährlich wird.» Wenn, dann kommt der Präsident des Vereins gegen Tierfabriken (VgT) unerkannt bei Nacht oder schickt andere zum Sammeln von Beweisen der «KZ-Bedingungen» auf Gutshöfen und in Mastbetrieben.
Verkotet bis unter die Augen
Dass er mit solchen Vergleichen bis aufs Äusserste provoziert, ist dem 62-Jährigen bewusst. Doch er nimmt dies in Kauf, «denn ohne Provokation, würden unsere Anliegen leider nicht gehört».
Wenn Schweine – Kessler zeigt Bilder aus dem Aargau – in einer braunen Sauce, verkotet bis unter die Augen zu zweit auf einem Quadratmeter leben müssten, Kühe das ganze Leben an der Kette vor sich hinvegetierten oder so viele Hühner in einen Stall gestopft würden, dass sie sich blutig pickten und ihnen die Federn bis zur Nacktheit ausfielen, dann sei diese «weltweit milliardenfache Tierquälerei» ein Verbrechen in der Dimension eines Holocausts.
Dass das Tier nicht auf die Stufe des Menschen gesetzt werde könne, lässt Kessler nicht gelten. Dieser Unterschied sei weder philosophisch, noch wissenschaftlich haltbar: «Ein Schwein leidet unter diesen Bedingungen genauso, wie wenn sie das mit einem dreijährigen Kind machen würden».
Kesslers aggressiver Stil hat ihm neben Anhängern und Bewunderern – der VgT hat etwa 30 000 Mitglieder – auch viele Feinde geschaffen. «Für die einen bin ich der Held, für die anderen der Psycho», sagt er lakonisch. Seit der Gründung des VgT am 4. Juni 1989 hat Kessler wohl über 100 Prozesse – zahlreiche bis vor Bundesgericht – gegen Bauern, Tierhalter, Politiker, Verwaltung und Journalisten geführt. Wegen Verletzung des Antirassismusgesetzes – Kessler hatte die Juden wegen des Schächtens als Nazi-Henker bezeichnet – musste der Streitbare gar eine Gefängnisstrafe absitzen.
«Tierquälerei legalisiert»
Doch wie kommt ein Bauingenieur mit Doktortitel dazu, ein bürgerlich gesichertes Leben gegen jenes eines Widerstandskämpfers im Namen der Tiere einzutauschen? Er habe schon von klein auf eine enge Beziehungen zum Land und zu den Nutztieren gehabt, sagt Kessler. Grossvater und Onkel waren Bauern im Thurgau. Besonders beeindruckt habe ihn das 1964 erschienene Buch der Engländerin Ruth Harrison, «Animal Machines» (Tiermaschinen), das erstmals einer breiten Öffentlichkeit die Missstände in der Massentierhaltung vor Augen geführt habe.
Im Jahr 1978 wurde das Schweizerische Tierschutzgesetz von einer grossen Mehrheit des Stimmvolks angenommen und Kessler hoffte insgeheim, es würde dem Leiden der Tiere ein Ende bereiten. «Doch mit dem neuen Gesetz hat der Bund einfach die bisherige tierquälerische Haltung legalisiert», sagt Kessler, der seinen Ingenieursberuf in der Folge an den Nagel hängte und seine Berufung zum Beruf machte.
Würde das Tierschutzgesetz wörtlich ausgelegt, wäre eine gute Tierhaltung durchsetzbar, ist Kessler überzeugt. Doch die Verordnung habe das Gesetz verwässert und schliesslich sei im Vollzug nicht einmal die Verordnung durchgesetzt worden. «Mit dem Resultat, dass ein Grossteil der Tiere heute so gehalten wird, als ob es kein Tierschutzgesetz gäbe.» Das Einzige, was das Tierschutzgesetz gebracht habe, sei das Verbot der Käfighaltung.
Letztlich hilft nur der Verzicht
Nach über 17 Jahren als VgT-Präsident zieht Kessler eine durchzogene Bilanz. Neben den vielen kleinen Einzelerfolgen auf Bauernhöfen, Gutsbetrieben und bei Tierhaltern gebe es auch Erfolge in einem grösseren Kontext: Die «tierquälerische Einzelboxen-Haltung» der Kälber sei abgeschafft worden – wenn auch wirtschaftliche Überlegungen zur Gruppenhaltung geführt hätten. Die Label-Programme der Grossverteiler hätten ebenfalls eine verbesserte Tierhaltung bewirkt, auch wenn es in vielen Fällen auch dort noch «krasse Missstände» gebe. Und das Verbot der Käfighaltung in der Schweiz habe teilweise auch in Europa zu einem Umdenken geführt.
Letztlich gibt es für Kessler trotzdem nur eine konsequente Lösung: Das Umsteigen vom «Fleischfresser» zum Vegetarier. Weniger Fleischkonsum bedeute zwar nicht bessere Bedingungen, aber letztlich weniger Tiere, die für den Konsum gezüchtet und gequält würden.
Wie der englische Volksheld
Ans Aufhören denkt der vierfache Familienvater Kessler noch lange nicht. Er will weiterhin der Öffentlichkeit mit seinen VgT-Nachrichten, die in einer Auflage von rund einer Million Exemplaren erscheinen, «die Exzesse der Tierfabriken» vor Augen führen. Ob er dereinst einen Nachfolger fürs VgT-Präsidium findet, ist derzeit noch ungewiss.
In die Geschichte möchte Kessler wohl einmal als Robin Hood der Tiere eingehen. «Ich sehe mich ein wenig so», sagt Kessler, der die Erzählung des englischen Volkshelden auf der Homepage des VgT verbreitet. Robin Hood habe sich für die Schwachen eingesetzt und sei von der Obrigkeit bekämpft und als Rechtloser erklärt worden. «In meinem Kampf für die Tiere geht es mir genau so.»
Quelle: Tagblatt.ch
Er ist wohl der berühmteste, aber auch gefürchtetste Tierschützer der Schweiz. «Für die einen bin ich der Held, für die anderen der Psycho», sagt Erwin Kessler, der vom Bauingenieur zum radikalen Verfechter einer artgerechten Nutztierhaltung wurde.
In Tuttwil scheint die Welt noch in Ordnung. Die Äcker sind bestellt, die Wiesen gedüngt und von fern ist das Gebimmel der Kuhglocken zu hören. Nichts scheint diese Harmonie von Mensch und Natur zu stören. Wäre da nicht dieses zurückversetzte und «schwer gesicherte» Haus, dessen Bewohner wohl so mancher Bauer und Tierhalter in diesem Land am liebsten dahin schicken würde, wo der Pfeffer wächst.
«Es war nie mein Ziel, mich beliebt zu machen», sagt Erwin Kessler, Adressat dieses bösen Wunsches. Der gefürchtetste Schweizer Tierschützer empfängt den Gast in Jeans und im Karateleibchen. Den Kampfsport betreibt er wohl nicht nur zum Ausgleich: «Offen bei Tag gehe ich schon lange nicht mehr auf einen Hof. Da weiss ich nie, ob es für mich lebensgefährlich wird.» Wenn, dann kommt der Präsident des Vereins gegen Tierfabriken (VgT) unerkannt bei Nacht oder schickt andere zum Sammeln von Beweisen der «KZ-Bedingungen» auf Gutshöfen und in Mastbetrieben.
Verkotet bis unter die Augen
Dass er mit solchen Vergleichen bis aufs Äusserste provoziert, ist dem 62-Jährigen bewusst. Doch er nimmt dies in Kauf, «denn ohne Provokation, würden unsere Anliegen leider nicht gehört».
Wenn Schweine – Kessler zeigt Bilder aus dem Aargau – in einer braunen Sauce, verkotet bis unter die Augen zu zweit auf einem Quadratmeter leben müssten, Kühe das ganze Leben an der Kette vor sich hinvegetierten oder so viele Hühner in einen Stall gestopft würden, dass sie sich blutig pickten und ihnen die Federn bis zur Nacktheit ausfielen, dann sei diese «weltweit milliardenfache Tierquälerei» ein Verbrechen in der Dimension eines Holocausts.
Dass das Tier nicht auf die Stufe des Menschen gesetzt werde könne, lässt Kessler nicht gelten. Dieser Unterschied sei weder philosophisch, noch wissenschaftlich haltbar: «Ein Schwein leidet unter diesen Bedingungen genauso, wie wenn sie das mit einem dreijährigen Kind machen würden».
Kesslers aggressiver Stil hat ihm neben Anhängern und Bewunderern – der VgT hat etwa 30 000 Mitglieder – auch viele Feinde geschaffen. «Für die einen bin ich der Held, für die anderen der Psycho», sagt er lakonisch. Seit der Gründung des VgT am 4. Juni 1989 hat Kessler wohl über 100 Prozesse – zahlreiche bis vor Bundesgericht – gegen Bauern, Tierhalter, Politiker, Verwaltung und Journalisten geführt. Wegen Verletzung des Antirassismusgesetzes – Kessler hatte die Juden wegen des Schächtens als Nazi-Henker bezeichnet – musste der Streitbare gar eine Gefängnisstrafe absitzen.
«Tierquälerei legalisiert»
Doch wie kommt ein Bauingenieur mit Doktortitel dazu, ein bürgerlich gesichertes Leben gegen jenes eines Widerstandskämpfers im Namen der Tiere einzutauschen? Er habe schon von klein auf eine enge Beziehungen zum Land und zu den Nutztieren gehabt, sagt Kessler. Grossvater und Onkel waren Bauern im Thurgau. Besonders beeindruckt habe ihn das 1964 erschienene Buch der Engländerin Ruth Harrison, «Animal Machines» (Tiermaschinen), das erstmals einer breiten Öffentlichkeit die Missstände in der Massentierhaltung vor Augen geführt habe.
Im Jahr 1978 wurde das Schweizerische Tierschutzgesetz von einer grossen Mehrheit des Stimmvolks angenommen und Kessler hoffte insgeheim, es würde dem Leiden der Tiere ein Ende bereiten. «Doch mit dem neuen Gesetz hat der Bund einfach die bisherige tierquälerische Haltung legalisiert», sagt Kessler, der seinen Ingenieursberuf in der Folge an den Nagel hängte und seine Berufung zum Beruf machte.
Würde das Tierschutzgesetz wörtlich ausgelegt, wäre eine gute Tierhaltung durchsetzbar, ist Kessler überzeugt. Doch die Verordnung habe das Gesetz verwässert und schliesslich sei im Vollzug nicht einmal die Verordnung durchgesetzt worden. «Mit dem Resultat, dass ein Grossteil der Tiere heute so gehalten wird, als ob es kein Tierschutzgesetz gäbe.» Das Einzige, was das Tierschutzgesetz gebracht habe, sei das Verbot der Käfighaltung.
Letztlich hilft nur der Verzicht
Nach über 17 Jahren als VgT-Präsident zieht Kessler eine durchzogene Bilanz. Neben den vielen kleinen Einzelerfolgen auf Bauernhöfen, Gutsbetrieben und bei Tierhaltern gebe es auch Erfolge in einem grösseren Kontext: Die «tierquälerische Einzelboxen-Haltung» der Kälber sei abgeschafft worden – wenn auch wirtschaftliche Überlegungen zur Gruppenhaltung geführt hätten. Die Label-Programme der Grossverteiler hätten ebenfalls eine verbesserte Tierhaltung bewirkt, auch wenn es in vielen Fällen auch dort noch «krasse Missstände» gebe. Und das Verbot der Käfighaltung in der Schweiz habe teilweise auch in Europa zu einem Umdenken geführt.
Letztlich gibt es für Kessler trotzdem nur eine konsequente Lösung: Das Umsteigen vom «Fleischfresser» zum Vegetarier. Weniger Fleischkonsum bedeute zwar nicht bessere Bedingungen, aber letztlich weniger Tiere, die für den Konsum gezüchtet und gequält würden.
Wie der englische Volksheld
Ans Aufhören denkt der vierfache Familienvater Kessler noch lange nicht. Er will weiterhin der Öffentlichkeit mit seinen VgT-Nachrichten, die in einer Auflage von rund einer Million Exemplaren erscheinen, «die Exzesse der Tierfabriken» vor Augen führen. Ob er dereinst einen Nachfolger fürs VgT-Präsidium findet, ist derzeit noch ungewiss.
In die Geschichte möchte Kessler wohl einmal als Robin Hood der Tiere eingehen. «Ich sehe mich ein wenig so», sagt Kessler, der die Erzählung des englischen Volkshelden auf der Homepage des VgT verbreitet. Robin Hood habe sich für die Schwachen eingesetzt und sei von der Obrigkeit bekämpft und als Rechtloser erklärt worden. «In meinem Kampf für die Tiere geht es mir genau so.»
Quelle: Tagblatt.ch